Hand aufs Herz: Hätten Sie es vor einem Jahr für realistisch gehalten, nun vorzeitig Ihren fünften DTM-Titel einzufahren?
Bernd Schneider: Wenn man bei Mercedes-Benz fährt und ein HWA-Fahrzeug hat, sollte man auch mit dem Ziel an den Start gehen, Meister zu werden. Im besten Team, mit dem besten Auto, der AMG-Mercedes C-Klasse, und mit dem Quäntchen Glück können das alle vier HWA-Fahrer schaffen. Auch meine drei Kollegen haben beim Saisonauftakt in Hockenheim bestimmt alle daran gedacht, am Ende Meister zu werden. Da bin ich bei uns keine Ausnahme.

Wenn Sie Ihr erstes Titeljahr 1995 mit dem fünften 2006 vergleichen: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen Sie?
Bernd Schneider: Eigentlich vergleiche ich keine Saisons, da das meiner Meinung nach nicht fair ist. Von der Saison 1995 habe ich nur noch die schönen Erinnerungen im Kopf behalten. Bei den Rennveranstaltungen laufen oft Filme über die Rennen von damals - dabei bekommt man auch noch einmal die andere Seite mit. Ich weiß noch, dass ich 1995 am Nürburgring ziemlich deprimiert war, obwohl ich beide Rennen gewonnen hatte. Mein Teamkollege Dario Franchitti war aber eigentlich schon um Einiges schneller und ich hätte [ohne seinen technisch bedingten Ausfall beim ersten Lauf, d. Red.] keinen Stich gegen ihn bekommen. Genauso war es beim letzten Rennen der damaligen Saison; auch dort lief es nicht besonders gut. Zu diesem Zeitpunkt war ich jedoch schon Meister, so dass ich es locker nehmen konnte. Auch damals war nicht alles eitel Sonnenschein. Doch insgesamt war es ein gigantisches Jahr: Ich konnte 14 Siege einfahren - das ist immer noch der Rekord in der DTM.

Auch im Cockpit schreckt Schneider vor leichten Berührungen nicht zurück, Foto: AUDI
Auch im Cockpit schreckt Schneider vor leichten Berührungen nicht zurück, Foto: AUDI

In diesem Jahr sind Sie in Zweikämpfen extrem selten in Berührungen verwickelt. Welchen Anteil hat daran das "Rennglück", welchen Sie selbst?
Bernd Schneider: Das kommt auf die Konkurrenz an. In jeder Sportart braucht man das Quäntchen Glück; das stand mir in dieser Saison manchmal auch durchaus zur Seite. Ich hoffe, dass mir der Renngott auch beim letzten Rennen, dem Saisonfinale in Hockenheim am 29. Oktober, hold bleibt.

Oftmals wird den Routiniers im Umgang mit jungen Teamkollegen eine gewisse Mentorenrolle unterstellt. Trifft dies zwischen Ihnen sowie Jamie Green und Bruno Spengler trotz der ausgeprägten Konkurrenzsituation zu?
Bernd Schneider: Mika und ich sind keine Mentoren für Jamie und Bruno. Die beiden können Autofahren und brauchen nichts von uns zu lernen, denn wir ergänzen uns alle gegenseitig. Wir sind aber alle offen für alles, denn ich glaube, dass der erste Rückschritt dann gemacht ist, wenn man glaubt, schon alles zu wissen.

In letzter Zeit vergeht kaum ein Qualifying oder Rennen, ohne dass sich Abt und HWA gegenseitig sportlich fragwürdige Manöver vorwerfen. Wie sehen Sie diese "Wortgefechte"?
Bernd Schneider: Ich glaube, dass wir noch weit von Aggressivität entfernt sind. Wenn man bedenkt, was in anderen Serien los ist, sind wir noch recht harmlos. In der alten DTM gab es sehr viele Konflikte. Damals wurde noch richtig gezankt, heute haben wir vergleichsweise harmlose Auseinandersetzungen. Ich glaube, dass der aktuelle Aufschrei auch etwas übertrieben ist, denn DTM heißt Berührungen, DTM heißt Fights - Türklinke an Türklinke. Wenn man sich irgendwann gar nicht mehr berühren darf, dann brauchen wir auch keine Rennen mehr zu fahren. Ich bin entschieden gegen Abschießen und absichtliches Auffahren oder Abdrängen. Doch ich muss sagen, dass es in der DTM Fahrer gibt, die dieses leichte Berühren beim Vorbeifahren sensationell gut beherrschen, solange das im akzeptablen Rahmen bleibt, kann ich damit leben. Ich glaube, dass die DTM nicht davon lebt, dass man im Entenmarsch hintereinander herfährt und niemand den anderen berührt. DTM ist kontrollierbarer Kontakt - ein gewisser Lackaustausch gehört einfach dazu.